Beitrag zur Blogparade #femaleheritage der Monacensia München
Nach kurzer Unterbrechung hier nun der dritte und letzte Teil meiner kleinen Serie zu Werken von Bildhauerinnen der Zeit um 1900 am Wiener Zentralfriedhof. Im ersten Teil ging es um das Brahms-Grabmal von Ilse Conrat, im zweiten um das Grabmal Strauß von Teresa Feodorowna Ries. Der heutige Beitrag schließlich widmet sich dem Grabmal für Charles Wilda, das 1909 von Hella Unger (1875–1934) geschaffen wurde.
Die Biographie der Bildhauerin Hella Unger ist noch wenig erforscht. Was ich im Folgenden präsentiere, sind daher nur vorläufige Ergebnisse, die ich vor allem anhand von zeitgenössischen Medienberichten zusammentragen konnte. Um ein wirklich vollständiges Bild zu gewinnen, wären auf jeden Fall noch weiterführende Archiv-Recherchen vonnöten.
Hella Unger wurde am 6. Jänner 1875 geboren, vermutlich in Wien, wo sie auch aufwuchs und zeit ihres Lebens wohnhaft blieb. Ihr Vater war der deutsche Kupferstecher und Radierer William Unger (1837–1932), der seit 1871 in Wien lebte und hier ab 1881 Professor an der Kunstgewerbeschule und ab 1895 an der Akademie der bildenden Künste war; ihre Mutter Therese war eine Tochter des Weimarer Hofkonditors August Ißleib.
Von 1899 bis 1901 lässt sich Hella Unger als Schülerin an der Wiener Vereins-Kunstschule für Frauen und Mädchen nachweisen. Diese Bildungseinrichtung war erst 1897 unter anderem von den Malerinnen Olga Prager, Rosa Mayreder und Tina Blau ins Leben gerufen worden, um Frauen eine künstlerische Ausbildung zu ermöglichen. Die Klasse für Bildhauerei leitete Richard Kauffungen, der somit Ungers erster Lehrer wurde. Schon im Jahr 1900 trat Unger mit einem ersten Werk an die Öffentlichkeit: Für das Grabmal des Kupferstechers Karl von Siegl am Hietzinger Friedhof schuf sie ein Porträtmedaillon des Verstorbenen in Bronze. Realistischerweise muss man wohl annehmen, dass sie diesen Auftrag nicht zuletzt den Beziehungen ihres Vaters verdankte, denn Siegl war einer von dessen Schülern gewesen. Gleichzeitig ist zu betonen, dass sich die junge Bildhauerin damals bereits einen gewissen Ruf als Künstlerin erworben hatte: In Rezensionen zu den Ausstellungen der Vereins-Kunstschule im Juni 1899 und im Mai 1900 wurde sie als die talentierteste der Schülerinnen hervorgehoben und als eine der wenigen namentlich genannt.

[aus: Sport & Salon, 30. März 1907, S. 13
Bildquelle: Österreichische Nationalbibliothek/ANNO]
1903–1904 erscheint Hella Unger dann als Studentin an der Wiener Kunstgewerbeschule – der heutigen Universität für angewandte Kunst, – wo auch ihre zwei Jahre ältere Schwester Else studierte. Auf verschiedenen Kunstgewerbe-Ausstellungen präsentierte sie in dieser Zeit dekorative Glasarbeiten, etwa „ein paar grün überfangene, tief geschliffene Blumengläser“, von denen ein Kritiker fand, sie hätten „das Zeug dazu (…), populär zu werden“. Ihr Schwerpunkt blieb jedoch die Skulptur, die sie an der Kunstgewerbeschule bei Stefan Schwartz studierte. Schwartz war insbesondere als Medailleur bedeutend, und auch Unger konzentrierte sich in diesen Jahren auf die Arbeit an Medaillen und Plaketten, die zum Teil auf internationalen Ausstellungen gezeigt und mit Preisen bedacht wurden. Sie lieferte aber auch Entwürfe für eine Trophäe der Herkomer-Konkurrenz (1906) und für ein Wiener Reiseandenken (1907).
1907 zeigte Unger auf der Frühjahrs-Ausstellung im Wiener Künstlerhaus dann erstmals monumentalere Bildhauerarbeiten. Vor allem ihre Porträtbüste des Archäologen Otto Benndorf erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Die lebensgroße Halbfigur sei „kühn gemacht“ und „mit männlicher Energie durchgeführt“, lobten die Kritiker. Daneben war Unger auf der Ausstellung noch mit einer Kinderbüste vertreten und mit der Skulptur Rast, einer ebenfalls lebensgroßen Aktfigur, die einen sitzenden Sklaven darstellte. Auch Letztere fand die Zustimmung der Kritik; mit Blick auf den ersten Teil dieser Serie ist besonders das Urteil der Tageszeitung Die Zeit von Interesse: „Diese sitzende und sinnende Gestalt erinnert an manche ähnliche, die wir in diesem Saal von der Feodorowna Riesz (sic) gesehen haben. Aber Hella Unger ist von Mätzchen und von koketter Pose frei, ist ehrlicher, wenn auch technisch noch nicht so gewitzt wie die Riesz.“
Zwei Jahre später, 1909, schuf Unger mit dem Grabmal für Charles Wilda ein ähnlich monumentales, ähnlich aufsehenerregendes Werk. Danach führte sie, wie es scheint, keine Arbeiten größeren Formats mehr aus, wohl auch, weil es aufgrund der mit dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Verschlechterung der Wirtschaftslage weniger große Aufträge für Bildhauer:innen gab. Der Schwerpunkt von Ungers künstlerischer Tätigkeit blieb damit im Bereich der Kleinplastik. Sie fertigte vor allem Porträtbüsten, -medaillons und -plaketten und war insbesondere auf Kinderporträts spezialisiert. Als eine ihrer wenigen Arbeiten für den (halb-)öffentlichen Raum ist ihre zweite, kleinere Porträtbüste von Otto Benndorf hervorzuheben, die sie 1929 für die Gelehrtenreihe im Arkadenhof der Universität Wien schuf.
Neben ihrer eigentlichen bildhauerischen Arbeit war Unger auch als Lehrerin tätig – unter anderen war die Bildhauerin Hanna Blaschczik ihre Schülerin – und engagierte sich für Frauenrechte. So war sie 1910 wie Ilse Conrat ein Gründungsmitglied der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ). 1913 gehörte sie dem Künstlerinnenkomitee für die große Frauenstimmrechts-Konferenz, die im Juni des Jahres in Wien stattfand, an.
Hella Unger starb am 5. August 1934 in Wien, wo sie im Friedhof Ober-St.-Veit ihre letzte Ruhestätte fand.
Das Grabdenkmal für Charles Wilda nimmt in Ungers Œuvre eine herausragende Stellung ein. Es ist nicht nur eine ihrer größten Arbeiten, sondern auch eine der wenigen, die für eine permanente Aufstellung an einem öffentlichen Ort geschaffen wurden. Der 1907 verstorbene Wilda war ein zu Lebzeiten populärer, heute aber weitgehend vergessener Maler. Vor allem für seine romantisierenden Genrebilder aus Ägypten bekannt, zählte er zu den Hauptvertretern des Orientalismus in der österreichischen Kunst um 1900. Auf diesen Aspekt seines Werks nimmt auch die Ikonographie des Grabmals Bezug: „Das Denkmal (…) stellt einen Grufteingang dar, aus dem eben ein Fellachenknabe tritt, der sich im Schmerz an die Pfeiler der Gruft klammert, eine gute Charakterisierung des Meisters der Farben und begabten Schilderer (sic) des Orients“, schrieb etwa die Österreichische Illustrierte Zeitung anlässlich der feierlichen Enthüllung des Monuments Ende Oktober 1909, wenige Tage vor Allerheiligen. Eine andere zeitgenössische Beschreibung spricht von einem „Grufteingang (…), an dem ein junger Araber trauernd lehnt.“
Heute wird die bronzene Jünglingsfigur meist anders gedeutet: nicht als schmerzvoller Trauernder, sondern als Auferstehender, der aus der Gruft tritt und sich, wie im Aufwachen, dehnt und streckt. In seinem Standardwerk zur Wiener Grabskulptur des Historismus bezeichnet der Kunsthistoriker Werner Kitlitschka Ungers Bronzeskulptur als „eine der künstlerisch überzeugendsten Darstellungen der Auferstehung überhaupt.“
Mit diesem prägnanten Zitat bin ich nun am Ende des heutigen Beitrags, aber auch der Serie angelangt. Es ist jedoch nur ein vorläufiges Ende. Denn am Wiener Zentralfriedhof gibt es ja noch Werke von anderen Bildhauerinnen, und auch Ilse Conrat, Teresa Feodorowna Ries und Hella Unger haben hier und auf anderen Friedhöfen noch weitere Grabmäler geschaffen. Über kurz oder lang werde ich sicher das eine oder andere davon hier im Blog vorstellen. Fortsetzung folgt also …
P. S.: Da heute der letzte Tag der Blogparade ist, teile ich den Beitrag schon einmal in noch nicht ganz fertigem Zustand – es fehlen noch die Fußnoten mit den Quellenbelegen. Ich werde sie in den nächsten Tagen nachtragen.