
[im Hintergrund das neugotische Rinnböck-Mausoleum]
Es ist in Wien nicht unüblich, dass man zu Weihnachten auch die Gräber seiner Lieben festlich dekoriert – mit Kerzen, Kränzen, Gestecken und sogar mit Weihnachtsbäumen. Nur am St. Marxer Friedhof sucht man solchen Schmuck zumeist vergeblich. Zu lange sind die hier Begrabenen schon tot, als dass sich noch Angehörige fänden, um ihre Grabstellen für die Feiertage aufzuputzen. Immerhin wurde der Friedhof ja schon vor bald 150 Jahren aufgelassen …
Unlängst stach mir an einem der Gräber in St. Marx aber doch ein Baum ins Auge. Es war allerdings keine Blaufichte und keine Nordmanntanne, sondern ‚nur‘ eine Trauerweide. Ein Baum also, der wegen seiner hängenden Zweige traditionell als Symbol der Trauer gilt und dementsprechend oft auf Friedhöfen und Grabmälern zu finden ist. Etwas schematisch, aber doch klar erkennbar in Stein gemeißelt, prangt die Trauerweide, die ich meine, am Grabstein der ‚bürgl. Küchengärtnerstochter‘ Anna Krenn, die mit gerade einmal elf Jahren im November 1866 an Typhus starb.
Der Grabstein fiel mir bei meinem Besuch im Oktober auf, weil er gerade frisch restauriert war und sich daher deutlich von den altersgrauen Monumenten in seiner unmittelbaren Umgebung abhob. Es handelt sich um eine elegante, schlanke Stele mit leicht zugespitztem Abschluss. Über dem Sockel trägt sie zunächst das Relief eines mit Schleifen umwundenen Blumenkranzes, darüber die obligatorische Inschrifttafel, zuoberst schließlich die erwähnte Trauerweide.
Leider habe ich in meinem Fundus kein älteres Foto dieses Denkmals, um hier einen vorher/nachher-Vergleich präsentieren zu können. Wie der Grabstein vor der Restaurierung ausgesehen haben mag, kann man jedoch an anderer Stelle im Friedhof nachvollziehen.
Wie die meisten Denkmäler in St. Marx ist nämlich auch jenes für Anna Krenn kein Einzelstück, sondern das Produkt serieller Fertigung in einem der großen Steinmetzbetriebe, die damals mit teils über hundert Mitarbeitern den Bedarf an Grabdenkmälern in Wien und Umgebung deckten. Nach demselben Modell gearbeitete Monumente begegnen einem in St. Marx daher immer wieder …
So etwa am Grab der 68-jährigen Fuhrmannswitwe Anna Neubauer, gestorben im März 1865 an einem Lungenödem. Hier ist sie wieder, die Trauerweide, doch diesmal an einem Stein, der noch grau, verwittert und moosbewachsen erst einer zukünftigen Restaurierung harrt.
Vergleicht man die beiden Denkmäler, erkennt man freilich auch, dass serielle Produktion keineswegs völlige Uniformität bedeutete. Die Steine wurden immer noch von Hand bearbeitet, was durchaus Variationen im Detail zuließ. So ist der Neubauer-Grabstein in den Proportionen breiter und gedrungener als jener der Anna Krenn, der Sockel ist einmal mehr abgetreppt, und der reliefierte Kranz samt seiner Schleife ist ein klein wenig anders gestaltet. In der großen Form und in ihrem Aufbau sind beide Monumente aber doch so weit identisch, dass im Gesamteindruck die Übereinstimmungen dominieren.
Noch einen Schritt weiter in den Variationen geht das Grabdenkmal für Anton Zeinlhofer, Oberlehrer und Chorleiter in Erdberg, der im Juli 1866, im Alter von 63 Jahren, dem Zehrfieber erlag. Im Aufbau und in den Proportionen ist es weitgehend identisch mit dem Neubauer-Grab, nur der Kranz erscheint hier wiederum in einer anderen, dritten Variante. Gänzlich anders gestaltet ist indessen der obere Abschluss. Dieser bildet hier nämlich keine Spitze, sondern ist flach und eben – und fungiert als Podest für eine kniende Engelsfigur, die das Denkmal bekrönt!
Natürlich ist das kein Weihnachtsengel, und die Trauerweide darunter ist, wie schon gesagt, kein Weihnachtsbaum, aber das wäre auf einem Friedhof wohl auch zu viel verlangt, und man muss nehmen, was man eben kriegen kann … So verabschiede ich mich mit diesen Bildern in eine kleine Feiertagspause und wünsche allen Leser:innen, die Weihnachten feiern, auf diesem Wege ein frohes Fest!