Schneebericht | St. Marxer Friedhof

Ich unterbreche nur ungern die begonnene Serie zu den Bildhauerinnen am Wiener Zentralfriedhof, aber man soll die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen, und letzte Nacht gab es zum ersten Mal diesen Winter Schneefall in Wien. Ich konnte daher nicht widerstehen, gleich nach dem Frühstück einen Hüpfer auf den St. Marxer Friedhof zu machen, und will die fotografische Ausbeute davon hier teilen, so lange sie noch frisch ist …

Der Weg zum Friedhof ist heute Vormittag kein sonderlich schöner, denn auf den Straßen und Gehsteigen haben Autos und Fußgänger, Streu- und Räumdienste den nächtlichen Schnee schon zu nassgrauem Matsch verwandelt. Im Friedhof selbst aber liegt er noch so dick und weiß wie auf einer kitschigen Weihnachtspostkarte.

Auf den Hauptwegen des Friedhofs sieht man schon einzelne Fußspuren von frühen Spaziergänger:innen, aber zwischen den Gräberreihen ist die Schneedecke noch so unberührt, dass man sich fast scheut, sie zu betreten.

Dichter:innen mit einem Hang zu Romantik und Metaphorik verwendeten früher gern das Bild des Leichentuchs, wenn sie von schneebedeckten Friedhöfen schrieben. Der Biedermeier-Schriftsteller Karl Johann Braun von Braunthal etwa dichtete in seinen Winterliedern von 1836:

Das Bahrtuch liegt gebreitet
Wohl über Stadt und Land,
Den Kirchhof Erd’ umfriedet
Die weiße Himmelswand.

Denksteine, klein’ und große,
Seh’n aus dem Schnee hervor,
Die schönsten – für Paläste
Hält sie der Mensch, der Tor!

Das sind, zugegeben, nicht unbedingt die besten Verse, die je geschrieben wurden, und ich teile sie hier eigentlich auch nur darum, weil Braun von Braunthal selbst in St. Marx begraben liegt. Zu den Denksteinen, die ich auf dem heutigen Spaziergang aus dem Schnee hervorragen sehe, zählt auch der seine.

Der Schnee, sagt man, dämpft alle Geräusche, aber so ganz stimmt das leider nicht: Tatsächlich schluckt er vor allem die hohen Frequenzen, und so ist das tiefe, einförmige Brummen der Autos von der nahen Südosttangente heute im Friedhof fast dominanter als sonst. Nur hie und da übertönen die obligatorischen Krähen mit einem lauten, plötzlichen Krächzen den Lärm des Verkehrs. In den Bäumen und Sträuchern an der Friedhofsmauer hingegen zwitschern die Meisen und flitzen, halb hüpfend, halb fliegend, zwischen den Zweigen umher.

Schon auf dem Weg zum Ausgang, höre ich, dass sich in dem Baum direkt über mir etwas bewegt. Wie ich hinaufschaue, sehe ich zwei Buntspechte, die dicht übereinander hinter einem Ast hervorlugen. Die roten Stellen in ihrem Gefieder ein Echo der Berberitzen, deren kleine Fruchttrauben immer noch über die Grabsteine hängen.

Kurz bin ich versucht, noch ein letztes Mal die Kamera zu zücken, um die beiden Vögel damit einzufangen, aber wahrscheinlich, denke ich, fliegen sie dann just den Moment auf und davon, wenn ich auf den Auslöser drücke … Ich beschließe also, es bleiben zu lassen, und gehe.

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