Spätherbst am Zentralfriedhof

In den nächsten Wochen werde ich hier eine Reihe von Grabskulpturen am Wiener Zentralfriedhof vorstellen. Kurz vor Allerheiligen, am einzigen Sonnentag in einer sonst regengrauen Woche, war ich daher noch schnell dort, um Fotos für die Beiträge zu machen. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, dabei auch ein paar Herbstimpressionen festzuhalten. Heute daher ausnahmsweise ein (fast) reiner Fotobeitrag …

Natürlich, der St. Marxer Friedhof

Ich kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, wann meine vage Faszination für alte Friedhöfe sich zu einem handfesten Forschungsinteresse ausgewachsen hat, aber zehn Jahre ist es gewiss schon her. Ich weiß auch nicht genau, wie viele Friedhöfe ich seither besucht und besichtigt habe, aber ein paar Dutzend werden es schon sein. Fest steht aber, dass ich keinen davon so oft besucht habe wie jenen von St. Marx, im Südosten Wiens. Das hat zunächst einmal den ganz banalen Grund, dass er in Gehnähe von meiner Wohnung liegt. Er ist also quasi mein Haus- und Hoffriedhof. Er ist aber durchaus auch so etwas wie mein Lieblingsfriedhof – nicht zuletzt, weil er in den bald 150 Jahre seit seiner Schließung als Begräbnisort zu einem phantastisch verwilderten Park geworden ist: Seine Denkmäler werden von alten Kastanienbäumen beschattet, die Gräber und Wege sind von Sträuchern überwuchert. Im Frühjahr blüht hier der Flieder so dicht und üppig wie nirgends sonst in Wien …

Heuer habe ich die Fliederblüte in St. Marx zum ersten Mal seit Jahren versäumt. Im März, als weite Teile Europas in den pandemiebedingten ‚Lockdown‘ gingen, befand ich mich gerade an meinem Zweitwohnsitz in London. Ich beschloss, den Frühling und Sommer über dort zu bleiben, in der leider trügerischen Hoffnung, man würde die Pandemie mit entsprechenden Maßnahmen bis zum Herbst halbwegs in den Griff bekommen. In Gedanken aber zog es mich in dieser Zeit doch immer wieder nach St. Marx, und ich begann, quasi aus der Ferne, ein Buch über den Friedhof zu schreiben und über seine bekannten und unbekannten Toten …

Es war daher nur naheliegend, dass mich mein erster Weg nach St. Marx führte, als ich Anfang Oktober schließlich doch nach Wien zurückkehrte. Der Friedhof hatte sich während meiner Abwesenheit verändert. Seit einigen Jahren läuft nämlich eine großangelegte Instandsetzungskampagne vonseiten der Stadt Wien, und wohl wegen meiner längeren Abwesenheit stach mir der Fortschritt der Arbeiten mehr ins Auge als sonst. Bei meinem Rundgang fielen mir zahlreiche Grabmäler auf, die offenbar seit meinem letzten Besuch im Jänner frisch restauriert worden waren.

Die Kalksteinoberflächen dieser Monumente strahlen nun wieder wie neu, fast wie die weiße Wäsche in der Waschmittelwerbung. Hell und leuchtend heben sich diese Denkmäler nun von ihrer Umgebung ab. So sehr, dass sie beinahe fremd wirken zwischen den altersgrauen Monumenten, die von Regen und Abgasen dunkel geworden, nach wie vor den Charakter des Friedhofs bestimmen …

Noch mehr als die Grabmäler ziehen um diese Jahreszeit jedoch die Berberitzensträucher die Aufmerksamkeit auf sich. Anfang, Mitte Oktober, wenn ihre kleinen Früchte reif sind, scheint es, als wäre der Friedhof mit roten Farbtupfern besprenkelt.

An den Bäumen beginnen sich derweil die Blätter gelblich zu verfärben, während an manchen Stellen wilder Wein sich tiefrot über die Gräber rankt.

Die Fliederblüte habe ich dieses Jahr versäumt – aber wenn ich ehrlich bin, dann ist mir der Friedhof ohnehin am liebsten, wenn der Herbst in seinen Mauern Einzug hält.

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